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Schattenkinder. Jugendbuchempfehlung

Margaret Peterson Haddix

Schattenkinder

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Margaret Peterson Haddix: Schattenkinder. München: dtv junior, 2005, 176 S. (übersetzt von Bettina Münch, Originaltitel: Among the Hidden)
  • Lesestufe: 7./8. Klasse

2. Inhaltsangabe

Der Roman spielt in einem totalitären Staat, dessen Regierung ein Bevölkerungsgesetz erlassen hat, welches Paaren verbietet, mehr als zwei Kinder zu bekommen. Weil die Garners bereits zwei ältere Söhne haben, müssen sie die Existenz des 12-jährigen Luke geheim halten. Er ist ein „Schattenkind“, das sich sein Leben lang verstecken muss. Im Falle der Entdeckung wäre sein Leben bedroht und seine Familie würde schwer bestraft. Seit in unmittelbarer Nähe der Farm seiner Eltern eine neue Siedlung gebaut worden ist, darf Luke sich sogar nur noch in den oberen Stockwerken des Hauses aufhalten und nicht mehr an ein Fenster treten. Von seinem heimlichen Ausguck auf dem Dachboden erblickt er eines Tages das Gesicht eines Mädchens im Fenster eines Hauses, in dem offiziell schon zwei Jungen wohnen. Sein Wunsch nach Ausbruch aus der Isolation wird nun noch größer. Einige Wochen später gelingt es ihm, sich unbemerkt zu dem Haus hinüberzuschleichen und das Mädchen, Jen(nifer) Talbot, kennenzulernen, das tatsächlich auch ein drittes Kind ist. Durch Jen eröffnet sich dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Luke die unbekannte Welt der „Barone“, einer Schicht von Wohlhabenden und Privilegierten, die gleichwohl auch nur zwei Kinder pro Familie haben dürfen. Durch Jen und die Bücher und Artikel, die sie ihm zu lesen gibt, wird Luke seine frühere Unwissenheit bewusst. Er erkennt nun, wie ungerecht die Gesellschaft ist, in der er lebt, und wie willkürlich ihre Regeln sind. Jen hat Zugang zum Internet und steht in geheimen Chatrooms in Kontakt mit anderen Schattenkindern, mit denen sie Erfahrungen austauscht und einen großen Protestmarsch vor dem Haus des Präsidenten organisiert. Luke schreckt davor zurück, an der Kundgebung teilzunehmen, aber Jen ist bereit, das Risiko einzugehen. Nach einer Zeit der Ungewissheit erfährt Luke von Jens Vater, dass sie und alle anderen Demonstranten von der Polizei erschossen worden sind. Da auch Luke nun damit rechnen muss, entdeckt zu werden, stattet ihn Mr Talbot, der selbst ein hoher Regierungsbeamter ist, mit einer neuen Identität aus. Schweren Herzens trennt sich Luke von seiner Familie und besucht unter dem Namen Lee Grant ein Internat.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Margaret Peterson Haddix wurde 1964 in Washington Courthouse, Ohio, geboren und lebt heute in Columbus im selben Bundesstaat. Sie studierte Englisch, Geschichte und Publizistik an der Miami University of Ohio und arbeitete vor ihrer Karriere als Jugendbuchautorin als Journalistin und Dozentin. Seit 1995 sind ca. 15 Jugendbücher von ihr erschienen, darunter die Bände der Schattenkinder-Saga. Der sechste Band in deutscher Übersetzung erscheint im Dezember 2006. Haddix’ Interesse gilt in besonderem Maße den Ängsten, die eine moderne Massengesellschaft mit ihrer moralischen Bindungslosigkeit verursacht. Auch befasst sie sich mit den negativen Konsequenzen moderner Technologie und dem Missbrauch medizinischer Forschungsergebnisse, die für sie Menschlichkeit und Demokratie gefährden und in einen Überwachungsstaat führen können. Sie präsentiert oft Charaktere mit höchst brüchigen oder sogar falschen und doppelten Identitäten, die um ihr Existenzrecht kämpfen müssen. So erfährt die Protagonistin in dem zuletzt erschienen Roman Double Identity (2005), dass sie der Klon ihrer bei einem Unfall getöteten Schwester ist. In Experiment EWIGE JUGEND werden an den Hauptfiguren, die Ende des 21. Jahrhunderts leben, Versuche durchgeführt, die ihren biologischen Alterungsprozess umkehren und sie wieder in kleine Kinder verwandeln.

4. Allgemeine Einordnung

Schattenkinder ist eine Jugendbuch-Variante des erfolgreichen Cyberpunk-Genres, welches sich in Literatur, Film und Rollenspiel seit den 1980er Jahren großer Popularität erfreut. Am bekanntesten sind in diesem Zusammenhang die Filme der Matrix-Reihe. In stark vereinfachter Form finden sich in Haddix’ Roman typische Elemente des Cyberpunk: Es wird eine düstere Welt der Zukunft gezeichnet, in welcher das Individuum in permanenter Furcht vor den Willkürmaßnahmen anonymer Mächte und Bürokratien lebt. Der technologische Fortschritt wird nicht dazu verwendet, das Los der Menschen zu verbessern, sondern nur, um sie zu kontrollieren. In einer Art Zwischenreich leben die Helden dieser Untergattung der Science-Fiction. Sie gehören zu den Benachteiligten und müssen ständig um ihre Sicherheit fürchten, setzen sich aber dagegen zur Wehr und nutzen zu diesem Zweck in subversiver Weise die Möglichkeiten moderner Technik. Der klassische Cyberpunk ist der Hacker, der wie Jen versiert in den Netzen unterwegs ist, um den Mächtigen zu schaden. Sie arbeitet im Untergrund und geht hohe Risiken ein, um den Widerstand gegen die Regierung zu formieren. Der Erfolg von Schattenkinder zeigt, dass diese Inhalte auch für jüngere Schüler von Interesse sind, vor allem, wenn man sie in altersgemäßer Weise anspricht. Haddix tut dies, indem sie eine Zukunftswelt schildert, in der vieles anders ist als heute, die aber noch hinreichend an die Gegenwart erinnert, so dass es für Schüler Ansätze zur Identifikation gibt. Dazu trägt insbesondere der Protagonist Luke bei, ein zunächst durchschnittlicher und schüchterner Junge, der in einer gewöhnlichen Familie lebt und mit dem der Leser gemeinsam die Welt kennenlernt und erobert. Auch geht die Autorin auf zukünftige Entwicklungen von Technologie fast gar nicht ein. Die Möglichkeiten des Computers bleiben hier im Rahmen dessen, was heutigen Schülern bekannt ist. Was auch fehlt, ist die Kritik am Kapitalismus, die für den Cyberpunk typisch ist. Statt von globalisierten Großkonzernen werden die Menschen in Schattenkinder von einer gesichtslos bleibenden „Regierung“ beherrscht. Wenn auch diese Zukunftsprognose eventuell etwas schlicht wirkt und die Übertragung der restriktiven Familienpolitik des überbevölkerten China auf ein westlich geprägtes Land nicht so richtig einleuchtet, lohnt die Lektüre des Romans dennoch, weil sie in sehr spannender Weise zur Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft einlädt. Es geht darin um Fragen der Verantwortung für sich selbst und andere, um Gefährdungen der Freiheit und darum, wie man richtig dagegen vorgeht.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Schattenkinder wird konsequent aus der Perspektive Lukes erzählt. Eine Erwartungshaltung ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass ein scheinbar gewöhnliches Kind seine Existenz verbergen muss. Der Leser hat das Bedürfnis zu erfahren, welche Gründe es dafür gibt. Später nimmt die Handlung deutlich Tempo auf, und es kommt mehrfach zu abenteuerlichen und lebensgefährlichen Situationen, in denen Luke sich bewähren muss. Auch der Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren trägt dazu bei, Spannung zu erzeugen. Luke ist ein zurückhaltender Junge aus einer Familie, die Mühe hat, wirtschaftlich über die Runden zu kommen, und sich in die Verhältnisse fügt. Er kennt nur die Farm seiner Eltern und führt ein „Maulwurfsleben“ (S. 76). Jen hingegen ist extrovertiert, impulsiv und wagemutig, durch ihre reichen und selbstbewussten Eltern ist sie schon in der Welt herumgekommen. Erzähltechnisch gesehen, liefert sie den Auslöser für Lukes Entwicklungsprozess. Sie ist seine „Fahrkarte nach draußen“ (S. 76). In Lukes Familie wiederum unterscheiden sich der Vater und die Mutter, beide entsprechen gängigen Rollenbildern und haben gänzlich eigene Methoden, mit ihrer Situation umzugehen. Das Buch ist der erste Teil einer Romanreihe und weist deshalb Elemente einer seriellen Erzählweise auf. Auch wenn Lukes Entwicklung am Ende mit seiner neuen Identität und Selbstständigkeit vorläufig abgeschlossen ist, so handelt es sich trotzdem um einen offenen Schluss, denn er lässt zahlreiche Fragen unbeantwortet, die Spannung auf den Fortgang im zweiten Band erzeugen: Wie wird sich Luke bzw. Lee an seiner neuen Schule einleben? Wird seine wirkliche Identität entdeckt? Was genau ist während der Kundgebung geschehen, auf der Jen gestorben ist? Auch ist der Schluss für den Leser nicht rundum befriedigend, da Schuldige nicht bestraft wurden und weil die Diktatur noch fortbesteht.

6. Didaktische Anregungen

Es scheint sinnvoll, schon vor Beginn der Lektüre zu thematisieren, welche Folgen eine Isolation wie die Lukes auf den Einzelnen hätte. Für eine entsprechende Schreibaufgabe brauchen die Schüler nur ihre Phantasie spielen zu lassen und sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie seit ihrer Geburt in ihrer Wohnung hätten ausharren und ihre Existenz geheim halten müssen.

Diktatur und Widerstand
Im Hinblick auf die Darstellung der Gesellschaft sind folgende Aspekte besonders wichtig:

  • Unterschiede und Parallelen zwischen unserer Welt und der Welt in Schattenkinder
  • Chinas Ein-Kind-Politik als mögliche Inspiration für Haddix’ Romanidee
  • die Gesellschaft der Zukunft und ihre Geschichte (Hier können die Schüler Textstellen sammeln und auswerten, die Ergebnisse werden dann in eine Reihenfolge gebracht und einem Zeitpfeil zugeordnet.)
  • Wie weit geht das Recht eines Staats, in das Leben der Bürger einzugreifen? (an konkreten Beispielen aus dem Roman diskutieren: Ernährung, Erziehung, Familienleben, Kinderzahl usw.)
  • die Unterschiede zwischen Baronen und anderen Bürgern; die Bedeutung dieser Zweiklassengesellschaft zur Erhaltung der Machtverhältnisse
  • Wie manipuliert und überwacht der Staat seine Bürger? (Ältere Jahrgänge könnten auch Informationen über heutige Gesetze und Praktiken einholen.)
  • der Widerstand gegen die Willkürherrschaft

Bei diesem Unterrichtsaspekt liegt es nahe, das Medium einzubeziehen, mit dem sich der Widerstand in dem Buch organisiert: das Internet. Die Schüler können z. B. ein Rollenspiel betreiben, bei dem sie E-Mails verfassen oder sogar ein Schattenkinder-Forum eröffnen, falls dafür die technischen Voraussetzungen wie ein schulinternes Netzwerk vorhanden sind. Da aber Menschen wie Luke keinen Zugang zu einem Computer haben, sollte auch herkömmlich kommuniziert werden. Die Schüler können z. B. Flugblätter mit Manifesten („Unsere zehn Forderungen an die Regierung“), Wandzeitungen u. ä. produzieren.

Charakterisierung
Die Charakterisierung von Figuren kann vermittels eines polaren Profils eingeleitet werden, das in diesem Fall paarweise für Jen/Luke und Lukes Vater/Mutter nach folgendem Muster durchgeführt wird:



Das Profil sollte einige weitere Adjektivpaare enthalten, die eventuell auch von der Lerngruppe vorher gemeinsam festgelegt werden können. Die Schüler kreuzen jeweils für beide Figuren die Werte an, die ihrer Einschätzung nach auf die Figuren zutreffen, und verbinden anschließend die Kästchen zu Linien. Im Unterrichtsgespräch werden Ergebnisse verglichen und Unterschiede zwischen den Figuren erklärt. Danach können die Profile auch als Hausaufgabe in Textform überführt werden. Eine Alternative zu den Charakterprofilen stellen Rollenbiografien dar, bei denen die persönliche Einfühlung stärker im Vordergrund steht. Dazu können einige Fragen zur Verfügung gestellt werden, die als Anregung dienen, aber nicht der Reihe nach abgearbeitet werden sollen. Zu diesen Fragen, die auf das Selbstverständnis der Figuren zielen, könnten beispielsweise gehören:
Wie siehst du aus?
Welche Kleidung trägst du?
Wie ist deine gesellschaftliche Stellung?
Was ist deine Lieblingsbeschäftigung?
Was bedeutet dir deine Familie?
Was sind deine Ziele im Leben?
Die wichtigsten Figuren (Luke, seine Eltern, Jen, ihr Vater) können jeweils von einer Gruppe bearbeitet werden. Die Ergebnisse werden dann in Ich-Form vorgetragen, wobei jede Gruppe auch szenische Elemente einbinden kann, indem sie z. B. die Figur bei der Arbeit oder bei einer anderen Beschäftigung darstellt oder Requisiten, Kleidungsstücken usw. bei ihrer Präsentation verwendet. Weiterhin kann es eine geeignete Aufgabe sein, Jen und Luke aus der Sicht der Bevölkerungspolizei zu charakterisieren, etwa durch ein Gutachten, das die Gefährlichkeit Jens beweisen soll. Zu Luke ließe sich ein Steckbrief oder ein Fahndungsaufruf im Fernsehen anfertigen, wenn man sich vorstellt, dass die Behörden nach seinem Verschwinden Kenntnis von seiner vormaligen Existenz erhalten haben.

Helden
Im zweiten Band der Romanreihe Schattenkinder. Unter Verrätern (ebenfalls bei dtv) wird Jen rückblickend als „Heldin“ verehrt. Es bietet sich an, ihr Verhalten unter diesem Aspekt zu betrachten und auch zu problematisieren. Als Einstieg können zunächst Figuren aus Literatur und Film gesammelt werden, die gewöhnlich als Helden gelten und den Schülern bekannt sind (Herkules, Robin Hood, Wilhelm Tell, Spiderman, Harry Potter usw.). Im Unterrichtsgespräch wäre zu ermitteln, welche Eigenschaften diese „Helden“ verbinden (Selbstlosigkeit, Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit trotz selbst erlittener, unverdienter Schicksalsschläge, besondere Kräfte oder Fähigkeiten und gutes Aussehen). Auch kann man an dieser Stelle schon die Frage aufwerfen, ob es solche „Helden“ auch im wirklichen Leben gibt. Was kann einen Helden im Alltag auszeichnen? Woraus erklärt sich die anhaltende Faszinationskraft der alten Heldenfiguren? In einem weiteren Schritt soll dann untersucht werden, welche Züge an Jen heldenhaft im genannten Sinn wirken und welche dem entgegenstehen. Dabei sollte unbedingt zur Sprache kommen, ob sie durch ihr Verhalten nicht unnötig den eigenen Tod und den vieler anderer verschuldet hat. Ist sie mutig oder riskiert sie zu viel? Unter welchen Umständen ist es überhaupt statthaft, eine Straftat zu begehen – also etwa wie Jen fremde Dateien zu manipulieren? Hätte es Alternativen zu ihrem Vorgehen gegeben? Eine mögliche Methode, um diese Problematik zu behandeln, kann darin bestehen, die Schüler einen Text über Jen für ein Geschichtsbuch schreiben zu lassen, das Jahre nach ihrem Tod und nach dem Ende der Diktatur erscheint. Zu dem Roman gibt es ein Unterrichtsmodell im Lehrer-Bereich der Website des Deutschen Taschenbuchverlags.


empfohlen von Stefan Munaretto


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