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Das Niebelungenlied von Franz Führmann. Jugendbuchempfehlung

Franz Fühmann:

Das Nibelungenlied

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Das Nibelungenlied neu erzählt von Franz Fühmann. Stuttgart: Klett, 2005, 200 S. (mit Materialien zusammengestellt von Isolde Schnabel)
  • Lesestufe: 7.–8. Klasse

2. Inhaltsangabe
Franz Fühmanns moderne Nacherzählung des Nibelungenliedes folgt der Handlung des mittelalterlichen Epos: Siegfried, der Königssohn aus Xanten, zieht nach Worms und wirbt um die burgundische Königstochter Kriemhild. Er bekommt sie aber erst zur Frau, nachdem er Brünhild, die Königin von Island, mithilfe seines Tarnmantels, der ihn unsichtbar macht, an Stelle von Kriemhilds Bruder Gunther in verschiedenen Kampfspielen überwunden und für diesen zur Frau erworben hat. Nach einer misslungenen Hochzeitsnacht muss Siegfried auch unerkannt an Gunthers Stelle Brünhild für diesen gefügig machen. Da Brünhild Siegfried für einen Vasallen Gunthers hält und sich daher auch Kriemhild gegenüber übergeordnet glaubt, kommt es Jahre später zu einem Streit zwischen den beiden Königinnen, in dessen Verlauf Kriemhild das Geheimnis des nächtlichen Eingreifens Siegfrieds verrät und Brünhild rüde beschimpft. Nach diesem Vorfall, der die Ehre des gesamten burgundischen Hofes verletzt, beschließen die burgundischen Ritter um Hagen von Tronje, Siegfried zu töten. Hagen ermordet Siegfried heimtückisch während einer Jagd, nachdem er Kriemhild die verletzliche Stelle des eigentlich Unverwundbaren entlockt hat, und lässt den Leichnam vor Kriemhilds Schlafgemach legen. Außer sich vor Schmerz schwört Kriemhild Rache. Um die Königin sämtlicher Machtmittel zu berauben, nimmt Hagen ihr auch Siegfrieds riesigen Goldschatz, den Nibelungenhort, und versenkt ihn im Rhein. Jahre später, nachdem sie den mächtigen Hunnenkönig Etzel geheiratet hat, lädt Kriemhild ihre burgundischen Verwandten an Etzels Hof in Ungarn ein. Von Anfang an herrscht eine Atmosphäre des Hasses und des Misstrauens zwischen Hunnen und Burgunden, bis es nach mehreren Vorfällen zu einer blutigen Schlacht im brennenden Festsaal kommt. In deren Verlauf fallen auf beiden Seiten alle bis auf Hagen, Gunther und Hildebrand, den Waffenmeister von Etzels Vasallen Dietrich von Bern. Dietrich greift ein, kämpft nacheinander gegen die Burgunden und nimmt beide gefangen. Als Kriemhild von Hagen die Herausgabe des Nibelungenschatzes verlangt, verweist dieser auf seine Vasallentreue gegenüber Gunther, woraufhin Kriemhild zunächst ihren Bruder töten lässt. Als Hagen sich immer noch weigert, nimmt Kriemhild Hagens Schwert – es ist das Schwert Balmung, das einst Siegfried gehört hat – und schlägt ihm damit den Kopf ab. Voll Abscheu wendet sich danach Etzel von seiner Gemahlin ab, die von Hildebrand getötet wird.

3. Kurzinformationen zum Autor

Franz Fühmann wurde 1922 in Rochlitz in Böhmen geboren. Als Jugendlicher war er begeisterter Anhänger der NSDAP, nach vierjähriger Kriegsgefangenschaft überzeugter Stalinist. Ab 1950 lebte er in Ostberlin. Im Laufe der Jahre ging er immer mehr auf Distanz zur SED-Diktatur. 1976 gehörte er zu den Unterzeichnern der Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. In seiner Lyrik wie auch in mehreren Erzählungen, z. B. Kameraden, Stürzende Schatten und Das Judenauto, schildert Fühmann das Leiden des Menschen unter dem Faschismus. Seine moderne Nacherzählung des Nibelungenliedes erschien 1971. Fühmann starb 1984 in Ostberlin.

4. Allgemeine Einordnung

Fühmanns moderne Nacherzählung des mittelhochdeutschen Epos macht eine der bedeutendsten Dichtungen der Weltliteratur und ihren Stoff auch für jüngere Leser zugänglich. Das mittelalterliche Heldenlied über die Nibelungen entstand um das Jahr 1200 und ist wahrscheinlich das Werk eines im Umkreis des Bischofs Wolfger von Passau tätigen Dichters, der die bis dahin aus verschiedenen Sagenkreisen überlieferten Erzählungen im Sinne der zeitgenössischen höfischen Poesie bearbeitet hat. Die Handlung spielt in der zur Zeit der Abfassung des Nibelungenliedes im hohen Mittelalter bereits etwa acht Jahrhunderte zurückliegenden Völkerwanderungszeit. Den entscheidenden historischen Hintergrund bildet jedoch das hohe Mittelalter. Es ist die höfische Welt der Stauferzeit mit ihrem ritterlichen Tugendideal, die dem Leser hier vorgeführt wird. Ein zentrales Motiv ist dann auch die Minne, das im hohen Mittelalter entwickelte Ideal der höfischen Liebe. Zudem enthält der Text eine Reihe von Anspielungen auf die Kreuzzüge. So werden etwa in der Dichtung arabische Stoffe, Gewürze und sonstige Kostbarkeiten erwähnt, die erst durch den von den Kreuzzügen begünstigten Kulturaustausch zwischen Orient und Okzident in Mitteleuropa bekannt geworden sind.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Fühmanns Nacherzählung ist etwa 150 Seiten lang und besteht aus 39 nicht nummerierten Kapiteln, die jeweils einer der 39 Âventiuren des mittelhochdeutschen Originals entsprechen. Dabei ist die ursprüngliche Verserzählung in eine neuhochdeutsche, leicht lesbare und verständliche Prosa aufgelöst und stark gekürzt worden. Die Länge der einzelnen Kapitel schwankt zwischen einer und höchstens neun Seiten. Ihnen ist jeweils eine den Inhalt des einzelnen Kapitels in einem kurzen Satz wiedergebende Überschrift sowie die erste Strophe der entsprechenden Âventiure im mittelhochdeutschen Original vorangestellt. Fühmanns Prosa behält zum Teil eine gewisse Altertümlichkeit der Sprache bei und imitiert stellenweise sogar den für die Vorlage charakteristischen Stabreim. Auch die im Original von Anfang an die Handlung begleitenden Anspielungen auf das katastrophale Ende werden weitgehend übernommen und sorgen für Spannung. Für das Verständnis des heutigen Lesers ist jedoch vor allem hilfreich, dass die Motive für das Verhalten der einzelnen Figuren gegenüber dem Original mehr herausgearbeitet werden. So tut Siegfried alles, um Kriemhild zu bekommen, und gibt sich dafür sogar vor Brünhild als Gunthers Vasall aus. Gunther hingegen ist vor allem auf den äußeren Schein bedacht, muss sich aber sogar im Ehebett von Siegfried heimlich vertreten lassen. Hagen hält bis zuletzt und trotz Bedenken seinem König Gunther die Treue, missbraucht aber zugleich immer wieder die ritterlichen Tugenden für machtpolitische Zwecke. Brünhild ahnt, dass sie betrogen worden ist, und tut alles, um hinter das Geheimnis zwischen Gunther und dessen vermeintlichem Lehnsmann Siegfried zu kommen. Und Kriemhilds Liebe und ihr Schmerz über den Verlust des Gatten sind schließlich so stark, dass sie sich noch nach Jahrzehnten an ihren Schädigern rächen will. Doch nicht allein Kriemhilds maßlose Liebe und Rachsucht sind schuld an der Katastrophe; das höfische Tugendideal ist schon zuvor durch die Eigenschaften und das Verhalten sämtlicher Beteiligter erschüttert worden: durch Siegfrieds Übermut und Unbesonnenheit, Gunthers Schwäche und Eitelkeit, Brünhilds Standesdünkel, Hagens Stolz und Verrat an Siegfried und Kriemhild, überhaupt durch die Gier der Burgunden nach Macht und Reichtum. Wegen seines Reichtums und Erfolgs zieht Siegfried den Neid der Burgunden auf sich. Weil er sich aus Liebe zu Kriemhild fälschlicherweise als Gunthers Vasall ausgibt, kommt es zum Konflikt zwischen Brünhild und Kriemhild, die ebenfalls gegen die höfische Ordnung verstößt, als sie die Rivalin rüde beschimpft. Die Burgunden bewahren sich zwar gegenseitig bis in den von ihnen selbst erwarteten gemeinsamen Untergang hinein die Treue und halten so zumindest äußerlich am ritterlichen Tugendideal fest, vor allem aber Hagens Verhalten ist mit Brutalität, Lüge und Mord  verbunden. Nicht obwohl, sondern gerade weil die Burgunden erwarten, dass ihr Schicksal besiegelt sei, provozieren sie den eigenen Untergang: Weil sie diesen als unvermeidlich ansehen, beschwören sie und vor allem Hagen absichtlich einen Konflikt herauf und führen damit die Katastrophe herbei. Vorgeführt wird so die Selbstzerstörung der ritterlich-höfischen Ordnung als Folge machtpolitischer Interessengegensätze, feudaler Ehrbegriffe und Wertvorstellungen. Vor allem im Schicksal des Rüdiger von Pöchlarn, eines Vasallen des Königs Etzel, leuchtet der Missbrauch solcher Wertvorstellungen durch die Mächtigen krass hervor. Als dieser im Auftrag seines Lehnsherrn nach Worms reist, um für Etzel um Kriemhild zu werben, schwört er Kriemhild arglos, dass er ihr Rächer sein wolle an jedem, der ihr Böses getan habe. Als es dann Jahre später an Etzels Hof zum Kampf zwischen Hunnen und Burgunden kommt, fordert Kriemhild von Rüdiger, seinem Eid Folge zu leisten. Da er aber zuvor den Burgunden auf der Reise ins Hunnenland Schutzgeleit versprochen hat, muss sich Rüdiger in dieser Situation zwischen zwei Eidbrüchen entscheiden und stürzt sich verzweifelt mit seinen Mannen in den tödlichen Kampf.

6. Didaktische Anregungen

Für den Einsatz im Unterricht ist Fühmanns Nacherzählung vielfältig geeignet. Zunächst ermöglicht sie den Schülern natürlich den Zugang zu einem der wichtigsten Texte der deutschen Literatur. Im Unterricht sollte die Klasse dann auch kurz über das Original und seine Entstehung informiert werden. Das Buch liefert dazu die entsprechenden Materialien: sowohl einen kurzen Text zur Entstehung und Überlieferung des Nibelungenliedes als auch einen Faksimiledruck der Handschrift und einen Abdruck der ersten sechs Strophen (S. 193–195). Es bietet sich daher an, dass der Lehrer zu Beginn der Unterrichtsreihe entweder die im Anhang abgedruckten sechs Strophen oder nur die dem ersten Kapitel vorangestellte erste Strophe (S. 5) laut vorliest und die Schüler übersetzen lässt. Dadurch bekommen sie ein Gefühl für den geschichtlichen Abstand zwischen dem Original und der modernen Nacherzählung. Jedoch sollten nicht etwa formale Aspekte die Unterrichtsreihe bestimmen. Die Auflösung der Verse und Strophen und die Übersetzung in ein leicht lesbares Neuhochdeutsch bieten vielmehr die Möglichkeit einer problemorientierten Lektüre. Dabei spielen die historischen Themen eine wichtige Rolle. Die Schüler erfahren, verpackt in eine spannende und ereignisreiche Geschichte, viel Interessantes über das Mittelalter, insbesondere über die höfische Welt, das ritterliche Tugendideal, die Minne und überhaupt über zahlreiche typisch mittelalterliche Sitten und Gebräuche wie Ritterfeste, Turniere oder die Art der Kriegsführung. Die Erarbeitung solcher Themen bietet eine sinnvolle Ergänzung zum  Geschichts-unterricht, in dem die Behandlung des europäischen Mittelalters in der Regel ein Unterrichtsvorhaben in den mittleren Klassen der Sekundarstufe I darstellt, wobei sich auch ein fächerübergreifender Ansatz anbietet. Sinnvoll wäre es etwa, wenn im Geschichtsunterricht parallel das mittelalterliche Lehnswesen, die Entstehung des Rittertums und seiner Ideale, die Kreuzzüge oder der Konflikt zwischen Kaiser und Fürsten behandelt werden könnte. Damit würde für die Schüler verständlich, dass der im Nibelungenlied thematisierte Widerspruch zwischen dem Schein der höfisch-ritterlichen Idealwelt und der Realität von machtpolitischen Interessen und menschlichen Schwächen eine Entsprechung in der historischen Wirklichkeit hat. Zugleich werden die Schüler, insbesondere auch die Jungen, auf motivierende Weise an die Themen herangeführt. Die Geschichte von kämpfenden Rittern, Treue, Verrat und Rache besitzt hohes Identifizierungspotential und fordert das Urteilsvermögen gerade jugendlicher Leser heraus, die für das mitunter gewaltsame Handeln von Figuren weniger abstrakte moralische Maßstäbe ansetzen, als dies erwachsene Leser zu tun pflegen. Neben den historischen Themen bringen die verschiedenen Charaktere, die Motive für das Verhalten der Figuren und somit der gesamte Handlungsverlauf der Erzählung Probleme zur Sprache, die gleichsam zeitlos sind und sich durchaus mit der Lebenswelt heutiger Schüler berühren. Auch heute können Emotionen wie Liebe, Leid und Rachegelüste, aber auch Gier nach Macht und Reichtum die Beziehungen der Menschen untereinander gefährden. Im Nibelungenlied ist die Zerstörung der Ordnung durch die Gewalt zusammen mit der an mehreren Stellen, unter anderem am Anfang und am Ende, eingesetzten Antithese von Freude und Leid ein durchgehendes Motiv, das so die Grundstruktur der Erzählung bildet. Immer wieder bricht in die scheinbar heile und freudvolle höfische Welt die Gewalt ein. Dies beginnt schon im ersten Kapitel (S. 5 f.): Kriemhild träumt von einem wilden und schönen Falken, der von ihr gezähmt, aber von zwei plötzlich daherfliegenden Adlern zerfleischt wird. Die Antithese von Liebe und Freude auf der einen und Leid und Gewalt auf der anderen Seite können die Schüler im weiteren Verlauf der Lektüre beständig wiederentdecken: Gunthers und Brünhilds Hochzeitsnacht endet mit Gewalt, auf dem Hoffest zu Worms entwickelt sich der folgenreiche Streit zwischen den Königinnen, Siegfried wird während einer höfischen Jagd hinterrücks ermordet und schließlich kommt es im Festsaal an Etzels Hof zur großen Schlacht. Indem die Schüler dieses Motiv an verschiedenen Stellen des Textes wiedererkennen, bekommen sie ein Bewusstein für seine tiefere Struktur. Dabei erscheint es sinnvoll, die Schüler den Text nicht in einem Zug, sondern in mehreren Sinnabschnitten lesen zu lassen. Folgende Einteilung bietet sich an:

  1. Das Anfangskapitel mit Kriemhilds Traum (S. 5 f.)
  2. Siegfrieds Werbung um Kriemhild und der Sachsenkrieg (S. 6–25)
  3. Die Werbungsfahrt nach Island und die Doppelhochzeit in Worms (S. 25–54)
  4. Der Streit der Königinnen und die Ermordung Siegfrieds (S. 54–86)
  5. Kriemhilds und Etzels Hochzeit und die Reise der Burgunden ins Hunnenland (S. 87–116)
  6. Die Burgunden an Etzels Hof und das Ende (S. 116–154)

Parallel zur Lektüre sollten die Schüler stets die Informationen über die Charaktere und vor allem die Verhaltensweisen und Motive der Hauptfiguren –Kriemhild, Siegfried, Hagen, Gunther und Brünhild (ab der zweiten Texthälfte evtl. auch Etzel) – sammeln und auswerten. Dabei bieten sich an einigen Stellen auch handlungsorientierte Verfahren an: Um die Provokation zu verdeutlichen, die die Anwesenheit Siegfrieds am burgundischen Hof nach Kriemhilds Streit mit Brünhild bedeutet, um die vielschichtige Motivationslage der Burgunden zu erklären und um die Widersprüchlichkeit des ritterlichen Tugendideals zu veranschaulichen, könnten die Schüler ein Rollenspiel entwerfen, in dem sie als burgundische Ritter das Für und Wider einer Ermordung Siegfrieds diskutieren. Eine ähnliche Funktion hat eine fiktive Gerichtsverhandlung nach Siegfrieds Tod, in der Kriemhild als Klägerin gegen Hagen auftritt; ein solches Rollenspiel würde zudem Licht in Kriemhilds Motive bringen. Im späteren Verlauf der Lektüre, wenn es um den sich anbahnenden Konflikt zwischen Hunnen und Burgunden geht, könnten die Schüler ein Gespräch zwischen einem hunnischen und einem burgundischen Ritter verfassen, in dem beide Seiten ihre jeweiligen Gründe für das gegenseitige Misstrauen offenlegen. In diesem Zusammenhang könnte dann auch die Frage diskutiert werden, ob es vor der endgültigen Eskalation der Gewalt die Möglichkeit gegeben habe, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Dazu könnten die Schüler auch einen inneren Monolog des Königs Etzel verfassen, in dem er nach der Katastrophe über sein Leid klagt. Neben der Antithese von Freude und Leid ist das Thema der Treue und des Verrats ein weiteres durchgehendes Motiv. Da der Text selbst das ritterliche Ideal der (Vasallen-)Treue zusammen mit den anderen ritterlichen Tugenden wie Tüchtigkeit, Reichtum, Erziehung, Klugheit und Ehrlichkeit in Frage stellt und letztlich ad absurdum führt, könnte zum Abschluss der Unterrichtsreihe die heutige Bedeutung von Tugenden und Werten zur Diskussion gestellt werden.


empfohlen von Dirk Jürgens


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