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Ich knall euch ab! von Morton Rhue. Jugendbuchempfehlung

Morton Rhue:

Ich knall euch ab!

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Morton Rhue: Ich knall euch ab! Ravensburg: Ravensburger Taschenbuch, 2006, 160 S. (übersetzt von Werner Schmitz, Originaltitel: Give a Boy a Gun; mit einem Nachwort von Klaus Hurrelmann: Wie kommt es zu Gewalttaten an Schulen?)
  • Lesestufe: ab 8. Klasse

Tipp: -> Königs Erläuterung zu Ich knall euch ab!. Textanalyse und Interpretation

2. Inhaltsangabe

Personen

  • Gary Searle: Schüler der Middletown Highschool, intelligent, introvertiert, unauffällig
  • Brendan Lawlor: sportlich, laut, wechselhaftes Temperament, rigider Gerechtigkeitssinn,videospielbegeistert
  • Allison Findley: Garys Freundin, kritisch, unter den Mädchen Außenseiterin
  • Emily Kirsch: zeitweilige Freundin von Brendan
  • Ryan Clancy: Freund von Gary und Brandan
  • Chelsea Baker: neu zugezogene Mitschülerin, sieht die Verhältnisse an der Schule neutral und urteilt objektiv
  • Sam Flach: Schüler, Mitglied des Footballteams, latent gewalttätig, einfacher Charakter
  • Dustin Williams: Schüler afroamerikanischer Herkunft, Mitglied des Footballteams, Brendans Nachbar, nachdenklich, überlegt,
  • Allen Curry: Direktor der Schule in Middletown

Ort

  • Middletown, USA (fiktiv; Name signalisiert Durchschnitt)

Handlung
Gary Searle und Brendan Lawlor sind von ihrem Charakter her recht unterschiedlich: dick, unsportlich, intelligent, sensibel, unauffällig der eine, sportlich, laut, wechselhaft im Temperament der andere. Während Gary an der Scheidung seiner Eltern leidet,  verfügt Brendan über einen extremen, fast übertriebenen Gerechtigkeitssinn. Beide vereint, dass sie sich in ihrer Schule von Anfang an aus der Cliquenwirtschaft heraushalten: Dort herrscht ein Sport-, Cheerleader- und Designerklamotten-Kult, der alles andere in den Schatten stellt. Damit sind sie (mit ein paar anderen) zu Außenseitern abgestempelt und werden Mobbing-Opfer. Die Freundschaft der beiden entwickelt sich langsam, da Brendan seine Kontaktarmut nur langsam überwindet. Auffällig ist, dass die Freundschaft anscheinend nicht auf gemeinsamen Interessen basiert, sondern nur auf dem gemeinsamen „Gegner“.
Mit dem neunten Schuljahr kapseln sich Gary und Brendan zunehmend vom Rest der Schule ab. Ausnahmen sind die beiden Freundinnen und Ryan Clancy. Zugleich werden die Jugendlichen verstärkt Opfer des Mobbings der Sportler: Die Mädchen werden von den anderen Mädchen ignoriert, Gary und vor allem Brendan werden verbal, aber auch handfest schikaniert und bedrängt. Treibende Kraft aufseiten der Footballspieler ist Sam Flach, ein eher einfacher, zur Gewalttätigkeit neigender Schüler. Die Lehrer sehen weg, wenn es zu Zwischenfällen kommt, oder sie spielen diese als Dummejungenstreiche oder typische Adoleszenz- Erscheinungen herunter.

Gary, der es schon immer schlecht vertragen hat, ausgelacht und bloßgestellt zu werden, verfällt in depressive Stimmung. Selbstmordgedanken kommen auf, ihm ist allmählich alles egal. Brendans Verzweiflung mündet in Aggressivität. Er verfasst Gedichte, die Horrorszenarien ausmalen und von Gewalt strotzen. Ein Versuch, bei Dustin Williams, einem eher besonnenen Footballspieler, Verständnis zu finden, scheitert. Letztlich sind Brendan und Gary isoliert und allein. Die Schikanen steigern sich. Die Lehrer, vor allem der Direktor, verharmlosen das Verhalten oder rechtfertigen es sogar, wie der Biologielehrer, der es als  genetisch vorprogrammiert ansieht. Brendan und Gary akzeptieren allmählich das Image des Losers. Das Protokoll eines Chats mit den Freunden zeigt, dass sie sich nur noch über ihre Gegner definieren können. Höhepunkt der Gewalt ist, dass Brendan auf der Toilette drangsaliert, gedemütigt und „abgezogen“ wird. Mit dem Unterlegenheitsgefühl kommen zunehmend Rachegelüste auf. Brendan kauft sich eine erste, noch kleine Pistole und spricht schon davon, in der Schule ein paar Leute zu erschießen. Das nimmt jedoch zunächst niemand ernst. Gary wirkt deprimiert, Brendan aggressiv – so schaukeln sie sich gegenseitig hoch. Brendan konsumiert massenhaft Gewalt-Videospiele, was seine Ohnmachtsgefühle zu Allmachtsphantasien anwachsen lässt.
In der Schule geht das Mobbing weiter. Die „Sportler-Fraktion“ hat dabei ein leichtes Spiel, da sie die Mehrheit hinter sich weiß und für Sportler ohnehin andere Regeln gelten als für Nicht-Sportler. Chelsea Baker, eine neu zugezogene Schülerin, gibt eine nüchterne Beurteilung der Verhältnisse an der Schule in Middletown ab: Cliquen gebe es überall, aber in Middletown werde anscheinend die gesamte Persönlichkeit über die Zugehörigkeit zur Sportler-Clique beurteilt. Brendan fängt an, nachts in der Gegend herumzuschießen. Gary beginnt sich für den Bau von Bomben zu interessieren und konstruiert schließlich auch einen
Sprengkörper. Auch bei den Handfeuerwaffen wird weiter aufgerüstet: Brendan befindet sich offensichtlich im Besitz von halbautomatischen Waffen und man überlegt, wie sie zu vollautomatischen umgerüstet werden könnten. Höhe- und Wendepunkt ist eine Party bei Dustin Williams. Als Brendan, der dort eigentlich ohnehin nichts zu suchen hat, zufällig die Freundin von Sam Flach berührt, verliert dieser die Kontrolle und schlägt ihn brutal zusammen. Der Schulleiter hält sich wiederum heraus mit der Begründung, der Vorfall habe sich ja nicht in der Schule abgespielt, und billigt damit Sams Verhalten. Gary, Brendan, Allison und
Ryan empfinden ohnmächtige Wut und Rachegefühle.

Der Moment der Rache kommt beim Schulball. Maskiert und mit automatischen Waffen ausgestattet stürmen Gary und Brendan die Veranstaltung, nachdem sie vorher Bomben an die Ausgänge gelegt haben. Sie schießen wild durch die Luft, die Anwesenden müssen sich auf den Boden legen und werden gefesselt. Brendan rächt sich an Sam Flach, indem er ihn tritt und ihm zwei Rippen bricht. Gewehrsalven, Schreie, eine Bombenexplosion, Chaos. Brendan schießt Sam in die Knie. Polizei erscheint. Plötzlich stellt sich heraus, dass sich auch Allison im Raum befindet, was für Verwirrung und einen Streit zwischen Gary und Brendan sorgt.
Während Brendan seinen Rachefeldzug fortsetzen will, ist es Gary egal, wie es weitergeht. Kurze Zeit später erschießt er sich. Einer Geisel gelingt es, sich und andere zu befreien, Dustin Williams kann Brendan überwältigen. Der wird von einer Gruppe Jungen halb tot getreten. Er überlebt, liegt aber mit irreversiblen Gehirnschäden im Koma. Selbst diese Katastrophe erklärt der Direktor als „unglückliche Verkettung von schlechter Architektur und zwei klugen Köpfen“ (S. 97). An der Schule ändert sich nichts, außer dass Metalldetektoren angeschafft werden und das Tragen von Rucksäcken verboten wird.

3. Kurzinformationen zum Autor

Morton Rhue – ein Pseudonym, der richtige Name des Autors lautet Todd Strasser – wurde 1950 in New York geboren. In Deutschland ist er vor allem durch sein Buch Die Welle bekannt, in dem er die Manipulierbarkeit von Jugendlichen durch Führerfiguren und Ideologien aufzeigt und anprangert. Morton Rhue lebte als Straßenmusiker in Europa, studierte Literatur und arbeitete in verschiedenen Berufen, vor allem als Journalist. Heute arbeitet der mehrfach ausgezeichnete Autor hauptberuflich als Schriftsteller und engagiert sich in Schulen.

4. Allgemeine Einordnung

Der aktuelle Hintergrund, auf den sich der Autor auch in seinem Vorwort explizit beruft, ist der Anschlag zweier Schüler auf die Columbine High School in Littleton, Colorado, USA am 20. 4. 1999. Allerdings soll nicht dieses Ereignis speziell nachgebildet werden.
Weitere Gewaltexzesse, so der Mord an einer Lehrerin in Meißen, vor allem aber der Amoklauf in einer Erfurter Schule 2002,  bilden den Hintergrund für die Behandlung des Buchs (vgl. Vor-/Nachwort).

Allgemeiner geht es auch um folgende Themen:

  • Intoleranz und Mobbing unter Schülerinnen und Schülern,
  • Gewaltvideos, Freizeitgestaltung, Interessen,
  • Waffenbesitz, Bewaffnung und
  • familiäre Hintergründe (Kinder als Scheidungsopfer, „intakte“ Familien).


Bei der Behandlung im Unterricht werden die Fragen nach den Gründen für das Geschehen im Vordergrund stehen, zwangsläufig führen sie zu Fragen nach dem Miteinander von Jugendlichen bzw. Menschen im Allgemeinen.
Von den vorgestellten Büchern wäre Ich knall euch ab! am ehesten mit Kirsten Boies Nicht Chicago. Nicht hier. zu vergleichen und zu verbinden. Wird dort die Ohnmacht „im Kleinen“ erfahren, werden hier die möglichen Folgen „im Großen“ ausgemalt. Nicht zufällig beginnt und endet Nicht Chicago. Nicht hier. mit dem Wunsch des Protagonisten, seinen Peiniger abzuknallen.

5. Strukturelle und sprachliche Aspekte

Die Handlung wird chronologisch, allerdings als „O-Ton-Recherche“ verkleidet, erzählt. Mehrere Beteiligte kommen zu Wort und lassen das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. So vertritt z. B. Ryan Clancy mit Ausnahme des Überfalls die Position Garys und Brendans, Deirdre Bunson repräsentiert die „Schickimicki“-Mädchen, Allison Findley den Gegenpart. Chelsea Baker als neu zugezogene Schülerin kommentiert eher neutral-objektiv. Sam Flach steht für die einfache, brutale Seite der Sportler, Dustin Williams für die eher nachdenkliche. Rektor Allen Curry verharmlost im Interesse des Footballteams und der Schule (und vermutlich auch, um die eigene Verantwortung so gering wie möglich zu halten) das Geschehen konsequent,  während die Vertrauenslehrerin so etwas wie Mitgefühl und Verstehen erkennen lässt, ohne die Tat damit zu rechtfertigen.
Diese sorgfältig austarierte Personalstruktur ermöglicht es einerseits, dass die Schüler Standpunkte vorfinden und sich mit ihnen identifizieren können. Andererseits ist dafür gesorgt, dass der „Mittelweg“ zu Worte kommt und ein Verstehen der Täter, aber keine Rechtfertigung der Tat, ermöglicht wird. Diese mehrfache Perspektivität lässt auch verschiedene Gründe für das Handeln der Jungen erscheinen: familiäre Hintergründe (Scheidung), die Atmosphäre an der Schule, die Leichtigkeit, sich Waffen zu verschaffen, den Einfluss von Gewaltvideospielen, pubertätsbedingte Probleme.
Trotz dieser Erzählweise hat das Buch eine weitgehend geschlossene Struktur. Man erfährt die Vorgeschichte der beiden Protagonisten und auch ihr Ende. Der detailliert erzählte Zeitraum erstreckt sich über vier Jahre, wobei zunehmend ausführlicher erzählt wird. Durch die Geschlossenheit werden bestimmte, reizvolle Zugänge wie Fortsetzungen, Umänderungen der Handlung etc. schwer realisierbar. Andererseits ermöglicht sie das bereits angesprochene und vom Autor beabsichtigte Verstehen der Tat.

Zum Aufbau: Ungefähr zwei Drittel des Buches befassen sich mit der Vorbereitung der Tat, ca. ein Drittel mit der Darstellung. Damit nimmt das „Finale“ einen vergleichsweise großen, auch recht detailliert gestalteten Teil ein. Daraus ergibt sich die Frage, ob diese nicht für ein Buch, das sich kritisch mit Gewalt auseinandersetzt, einen recht breiten Raum einnimmt.
Die Sprache ist verständlich und sowohl den Figuren als auch der Zielgruppe angemessen. Auffällig ist das gelegentliche Verkürzen oder Vermeiden von Kraftausdrücken, z. B. „A-loch“ (S. 43) oder „#$*%egal“ (S. 44). Möglicherweise handelt es sich um eine Anpassung an die Chat-Sprache der Jugendlichen, vielleicht soll aber auch einer Brutalisierung der Sprache entgegengewirkt werden.

6. Didaktische Anregungen

Schwerpunkt: Jugendtypisches Verhalten

  • Was ist eigentlich „jugendtypisch“? 
  • Funktion der Clique im Buch/allgemein? --> Diskussionen unter den „Sportlern“, z. B. angestoßen von Dustin Williams: Umgang mit den „anderen“?
    Kontroverse zwischen Brendan, Gary, Ryan und Allison: Führt der Hass nicht in eine Sackgasse? (etc.)
  • Mobbing unter Jugendlichen: Folgen des Mobbings für die Betroffen im Buch/allgemein?
  • Markenklamotten und Gruppendruck --> z. B. Talkshow oder Erörterung

Schwerpunkt: Die Schule in Middletown

  • „Hackordung(en)“ an der Schule in Middletown und anderswo – Gründe für Schikanieren Unangepasster und Mobbing?
  • „Kultur des Wegsehens“, sowohl unter Schülern als auch seitens der Lehrer --> Lehrerkonferenz, Konfrontation Eltern – Lehrer
  • Wahrnehmung des Konflikts durch die Lehrer --> Ausbauen der etwas blass geratenen Lehrerfiguren, Hinzuerfinden neuer, auch kontroverser Figuren
  • Darstellung der Verhältnisse an der Schule --> Ausbau der Figur Chelsea Baker, z. B. Chelsea als Klassensprecherin oder Schülervertreterin
  • Sachlicher (?) Bericht einer Untersuchungskommission nach dem Zwischenfall; Aufführen und Einschätzen der Gründe

Schwerpunkt: Familiäre Hintergründe

  • „Intakte“ Familie und Gewalttäter? --> Brendans Eltern erzählen
  • (für höhere Klassen:) Kinder als Scheidungsopfer

Schwerpunkt: Ursachen für Aggression

  • Erscheinungsformen von Gewalt --> Rollenspiele, Wandzeitungen etc.
  • Aggressionstheorien --> Kurzvorträge
    – Einfluss des Fernsehens (mehrere Filme werde namentlich genannt): Lernen am Vorbild?
    – „Wenn alle das machen, stimmt es auch.“ Allgemeine Akzeptanz des Mobbings und Einflus von Vorbildern?
    – Einfluss von Computerspielen (z. B. Doom): Verwechslung Fiktion – Wirklichkeit, Herabsetzen der Hemmschwelle? (vgl. Diskussion nach Überfall in Erfurt)
    – Einfluss privater Krisen: Frustration als Ursache für Aggression?
  • Möglichkeiten, Aggressionen umzuleiten --> Mediation, andere Formen des Trainings

Schwerpunkt: Gewalttätige Zwischenfälle an Schulen

Begleitend zu Ich knall euch ab! sollte der Dokumentarfilm Bowling for Columbine von Michael Moore angesehen und besprochen werden.

  • die Ereignisse von Littleton 1999 und Erfurt 2002 --> Recherche/Kurzvorträge
  • Was tun bei Gewalt an Schulen? --> Schulforum, Expertenrunde etc.
  • „Bewaffnung“ von Schülern, Waffengebrauch und -verbreitung allgemein, Waffengesetze --> Talkshow, Erörterung
  • Aufgaben der Schule?
  • Toleranz --> Umfragen, Rollenspiele
  • Benachteiligung von Minderheiten
    – Dustin Williams, der „Held“ von Middletown, bekommt als Schwarzer ein Stipendium an einer Elite-Universität im Osten
    – nur aufgrund der Tatsache, dass er ein herausragender Footballspieler ist. --> Briefe, Tagebuch etc.: Wie ergeht es ihm dort?
    – Benachteiligung von Minderheiten hierzulande? --> Umfrage, Bericht, Auswertung PISA-Studie etc.

Fazit

Trotz der Vorfälle von Erfurt und Meißen sind Gewaltexzesse wie der geschilderte für deutsche Schüler glücklicherweise eher exotisch. Dennoch greift Ich knall euch ab! von Morton Rhue eine Thematik auf, die die meisten Schüler stark berührt und betrifft. Das geschieht, indem viele verschiedene Stimmen zu Wort kommen, auf eine interessante und reizvolle Weise. Die Vielfalt der angeschnittenen Themen kommt dem Wunsch der Schüler nach Abwechslung, aber auch dem aufklärerischen Anliegen des  Buches entgegen. Das Buch bietet neben dem chronologischen Durchgang zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterarbeit und zur Auseinandersetzung mit einzelnen Teilbereichen. Die fast idealtypische Ausgewogenheit ist für den Unterricht durchaus von Vorteil.


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